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Saatgut: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

 

Der im Waldviertel beheimatete Verein ARCHE NOAH widmet sich seit über 30 Jahren dem Erhalt und der Entwicklung unserer Kulturpflanzenvielfalt. Gärtner, Bauern und Journalisten gründeten im Jahr 1989 diesen Verein. Ihre Vision war und ist bis heute ein harmonischer und schöpferischer Umgang mit der Natur und die Freude an der Vielfalt. Das Herzstück der ARCHE NOAH Initiative: Wertvolles Saatgut soll die Grundlage unserer Ernährung bilden und wieder in die Hände von uns Menschen gegeben werden. 17.000 Vereinsmitglieder und Förderer unterstützen dieses Gedankengut der Erhaltung. So werden traditionelle und seltene Sorten wieder zurück in die Gärten und auf den Markt gebracht. Der ARCHE NOAH Verein ist auch forschend tätig und verfügt über das größte biozertifizierte Samenarchiv in Europa.

 

Rene Pollroß lernte sein Handwerk in der Gartenbauschule in Langenlos. Er ist seit 2019 im Kernteam der ARCHE NOAH dabei. Seit 2020 verantwortet Rene den Schaugarten in Schiltern und verwaltet zudem den Vermehrungsgarten in Langenlois. Mit ihm habe ich mich über das Thema Saatgut unterhalten.

 

Rene, wie ist es zur Gründung der ARCHE NOAH gekommen? Während der Nachkriegszeit gab es eine sehr große Generosion. Viele Menschen zogen aus den ländlichen Gebieten in die Städte, da ihnen die dort vorherrschenden geregelten Arbeitszeiten mehr entsprachen. Aufgrund der Landflucht kümmerten sich immer weniger Menschen um die Erhaltung des regional angebauten Obstes und Gemüses. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die Nahrungsmittelproduktion unter Einbußen der Sortenvielfalt hin zur Industrie wanderte. Es wurde vermehrt auf Quantität anstatt auf Qualität gesetzt, alte Sorten sind in der Folge aus dem Nahrungsmittelangebot verschwunden und gingen aus dem österreichischen Kulturschatz verloren. Meinem Kenntnistand zufolge besaßen aber die alten Sorten eine höherwertige Mineralstoffzusammensetzung, die vom menschlichen Organismus anders aufgenommen wird.

Aus dieser Entwicklung, dem Verschwinden alter Sorten heraus, ist der Verein ARCHE NOAH entstanden. Nach der Gründung 1989 folgte mit einer offiziellen Sammlergenehmigung eine Sammelreise in die Vorgärten östlicher Länder, um die regionale Vielfalt alter Obst- und Gemüsesorten wieder nach Österreich zurückzuholen, weiterzureichen und zu archivieren.

 

Ihr bietet Bio-Saatgut an. Was unterscheidet Bio-Saatgut von konventionellem Saatgut? Es gibt strenge Bio-Richtlinien, deren Einhaltung von einer Kontrollstelle geprüft wird. So muss der Anbau frei von chemisch synthetischem Dünger sein, es gibt bestimmte Vorgaben für Erden, für die Anzucht oder die Verwendung von Kompost.

 

Viel bedeutsamer für uns ist der Einsatz von samenechtem Saatgut. Das heißt, dass aus den Samen der jeweiligen Pflanzen weitere Nachkommen gezogen werden können. Blicken wir in den konventionellen Anbau. In diesem besitzen Industrien Patentsaatgut. Das heißt, dass die Firmen Patente auf die pflanzliche Elterngeneration haben. Aus den Elternsorten wird eine anbaufähige Tochtergeneration herangezogen, die die Eigenschaften der Eltern vereint, aber vermehrungsunfähig, sprich steril ist. Im Fachjargon wird dies als F1-Hybrid bezeichnet.

Samenecht bedeutet hingegen vermehrungsfähig. Beim Einkauf bei ARCHE NOAH oder bei unseren Netzwerkbetrieben, die in allen Bundesländern ansässig sind, können auch Nachfolgegenerationen unseres Saatgutes weiter angebaut werden.

 

Wie kann man sich eure Vermehrungsarbeit der zur Verfügung gestellten Samen genau vorstellen? Wir besitzen ein Saatgut Archiv mit 5.500 Akzessionen, das heißt eine Sammlung vorhandener Samenmuster. Dieses Saatgut ist je nach Lagerung für eine entsprechende Zeit, aber höchsten bis 15 Jahre, haltbar. Damit keine Erbgutschäden entstehen und die Keimfähigkeit nicht gefährdet wird, muss in regelmäßiger Folge angebaut werden. Wenn beispielsweise 100 Samen eingelagert werden, ist im Folgejahr vielleicht nur noch die Hälfte keimfähig, die Keimfähigkeit ist damit auf 50% gesunken.

Unsere Vermehrungsarbeit besteht darin, diese Akzessionen zu gegebener Zeit anzubauen, zu pflegen, zur Blüte zu bringen und zu befruchten, damit sie im Herbst zurück ins Archiv gebracht werden. Dieser besondere Vegetationskreislauf verbunden mit der Vielfalterhaltung obliegt meiner Verantwortung. Dafür brauchen wir Bestäuberinsekten wie Bienen, spezielle Netztunnel, um Kreuzungen zu vermeiden. Dieses Vorgehen ist sehr komplex. So werde ich von einem Gartenteam von vier Personen und weiteren vier Praktikanten unterstützt. 

 

Kannst du etwas über eure Vielfaltverbreitung erzählen? Welche Initiativen ergreift ihr, um das vielfältige Saatgut für Hausgärtner und Bäuerinnen bekannter zu machen, damit diese Pflanzen in möglichst vielen Gärten wieder lebendig werden? Für diesen Zweck haben wir ein dezentrales Erhalternetzwerk aufgebaut. Es gibt verschiedene Netzwerkpartner in den verschiedenen Regionen, die die Vielfalt betreuen und auch weitergeben. Es gibt hier drei unterschiedliche Säulen, auf denen dieses Konzept fußt und die meine Kollegin Michaela Hofer betreut.

  • Die temporäre Vermehrung: Wir geben eine Sorte an die Erhalter aus, die im Garten vermehrt und am Ende des Jahres wieder an uns zurückgeschickt wird. Da sich die ausgegebenen Pflanzen vielfach durch Selbstbestäubung vermehren, sind die Ausstattungserfordernisse des Gartens gering. Was es braucht ist Zeit für Pflege, Ernte und die Trocknung der Samen.
  • Sortenbegleitung: Eine oder mehrere Sorten werden für mehrere Jahre hinweg vergeben. Schalotten oder Knoblauch sind mehrjährige Pflanzen, die sich vegetativ, sprich über andere Pflanzenteile, vermehren. Diese Pflanzen verbleiben am Anbauort. Wenn es zu einem Sortenausfall bei uns kommt, können wir darauf zurückgreifen.  
  • Sortenhandbuch: Dieses Handbuch dient dazu, damit Erhalter das Saatgut, welches sie produzieren auch anderen Interessenten anbieten können.

Unsere Mitglieder können an allen drei Säulen teilnehmen. Die Vermehrungsarbeit erfordert eine entsprechende Gartenkapazität und Grundlagenwissen über den Anbau. 

 

Eure Saatgutvielfalt umfasst neben Obst, Gemüse auch Blumen und Kräuter. Was gibt es hier in eurem Sortiment? Wir verfügen über einen eigenen Kräuterbereich. Auszugsweise nenne ich Thymian (Thymus vulgaris), Salbei (Salvia officinalis), Ringelblume (Calendula officinalis), Johanniskraut (Hypericum perforatum). Hier lohnt sich ein Blick auf unsere Webseite. Wir haben eine gute Zusammenarbeit zum Unternehmen ReinSaat, das ebenso eine gute Saatqualität anbietet.

 

Ihr seid nicht nur Praktiker, sondern geht auch forschend an das Thema heran. Wir führen immer wieder hausinterne Forschungsprojekte, die experimentellen Charakter haben, durch. Dieses Jahr bauen wir beispielsweise Buschbohnen (Phaseolus vulgaris L. ssp. vulgaris var. nanus) an, um die verschiedenen Wuchstypen zu erkennen und herauszuarbeiten. Neben dieser Erkenntnis für das ARCHE NOAH Team kommen wir einer Informations- und Aufklärungsarbeit gegenüber unseren Besuchern nach. Sie können diese Arbeiten vor Ort miterleben.

Wir beschäftigen uns auch mit klimabeständigen Sorten, die mit den extremen Witterungsbedingungen der aktuellen Zeit wie extreme Trockenheit oder Feuchtigkeit zurechtkommen müssen. Dies finden wir heraus, indem wir unterschiedliche Sorten anbauen und die Entwicklung unter den vorhin genannten Witterungseinflüssen genau beobachten und dokumentieren. 

 

Welche Kostbarkeiten habt ihr auszugsweise in eurem Samenarchiv? Eine unserer ältesten Sorten ist das Tullnerfeldner Kraut, das seit dem 15. Jahrhundert in Verwendung gewesen ist. Was die Vielfalt unseres Archivs anbelangt, so verfügen wir über 621 Tomatensorten, 781 Bohnenarten und -sorten wie Stangenbohnen (Phaseolus vulgaris L. ssp. vulgaris var. vulgaris), Buschbohnen, Feuerbohnen (Phaseolus coccineus), uvm. Wir besitzen etwa 220 Kohlarten und -sorten, 165 Erdäpfelsorten runden die breite Auswahl ab.

 

Blicken wir zu eurem Schaugarten in Schiltern: Was gibt es im Heilpflanzenbereich zu bestaunen? Wir haben einen thematischen Kräuterbereich zur Traditionellen Europäischen Medizin aufgebaut. Dort gibt es viel Wissenswertes krautiger Pflanzen vom Alant (Inula helenium) über die Cistrose (Cistus ladanifer) bis zum Mädesüß (Filipendula ulmaria) und zur Schafgarbe (Achillea millefolium) zu finden. Auch nervenberuhigende Pflanzen wie der Hopfen (Humulus lupulus) wachsen bei uns. Wir haben die Pflanzen nach ihrem Wirkspektrum für verschiedene menschliche Organe angepflanzt, einen Bereich mit Teekräutern haben wir angelegt und Heilpilze gibt es bei uns auch.

Privat beschäftige ich mich im Übrigen auch mit der Wirkung heimischer Pflanzen. So setze ich mir meine eigenen Tinkturen zu Hause an und nehme diese beispielsweise, um mein Immunsystem zu stärken.

 

Wie kommt man zu eurem samenechten Saatgut, wenn man kein ARCHE NOAH Mitglied ist? Wir beliefern Anfragen aus ganz Österreich über unseren Online-Shop. Hier kann unser samenechtes und biozertifiziertes Saatgut bezogen werden. Diese Hausgartenlinie ist speziell für Hobbygärtner, sie können bei Bedarf ihre angebauten Pflanzen auch vermehren.

 

Hast du zu guter Letzt eine Empfehlung, mit welchen krautigen Pflanzen neu hinzukommende Hausgärtner einsteigen können? Sehr leicht anzubauen ist die Ringelblume. Diese lässt sich im Gemüsebeet, im Gartenbeet oder auch in einer Balkonkiste ziehen. Ringelblume ist einfach im Anbau, bis Ende August kann sie gesät werden, sie blüht bis in den späten Herbst hinein. Calendula ist eine dankbare und hochwertige Pflanze, die auch für verschiedene Anwendungen zu unserem persönlichen Wohlergehen eingesetzt werden kann.

 

Lieber Rene, vielen herzlichen Dank für unser Gespräch.

 

Weiterführende Information: https://www.arche-noah.at/

Kräuter-Blumen Onlineshop: https://shop.arche-noah.at/saatgut_kraeuter_blumen 

Die Öffnung des Schaugartens ist für 8. Mai geplant: https://www.arche-noah.at/schaugarten  

In der Nähe von Steyr befindet sich der ARCHE NOAH Vielfaltsbetrieb Fairleben (Allhaming), bei demBio-Gemüse, Kräuter und Jungpflanzen gekauft werden können. Fairleben ist mit seiner Gemüse- und Kräuterauswahl auch samstags am Bauernhof in Steyr anzutreffen.